VERSPÄTETES MANIFEST
Ich habe diese Streitschrift geschrieben,
damit du, wenn du mich verurteilst,
keine Ungerechtigkeit begehst.
I
Unser Volk hat keine Geschichte.
Es ist arm. Es hat
nicht mehr als ein paar kleine Piraten,
einige gestählte Arbeiter,
viele sinnlose Grenzen,
tausendfaches Missgeschick.
Das ist nicht wenig.
Ein Regenvorhang schliesst
unseren Kalender ab.
Sucht also nicht unser Reich
in den dicken Büchern der Weltgeschichte.
Unser ganzes Reich bestand
aus der Null von Aguina.
Und der Baske begnügte sich damit.
Und er wollte frei sein.
Aber das Freisein
ist eine furchbar schwierige Sache
für das unglückliche Volk,
das keinen Marx hatte
oder kein 1789.
Wovon wird es bezahlen?
Es ist furchbar schwierig,
denn wir haben nicht mehr
als ein paar Piraten, einige gute Arbeiter,
mehrere schlechte Grenzen und ähnliches.
Nur Kleingeld.
Aber wir wollen frei sein.
Was kann ich dafür?
Und wenn sie uns jetzt auch
wie einen gefälschten Blankoscheck
einen Baum von Gernika erfinden,
so als ob der Wille zur Freiheit Sünde wäre,
so als ob wir Titel benötigten,
wir wollen nur einfach frei sein.
Wir wollen. Das ist alles.
Der letzte Betrug an uns ist nämlich:
Sie haben uns glauben lassen, vorher von draussen,
jetzt auch von drinnen, dass wir
den Willen zur Freiheit rechtfertigen müssen.
Und die Anwälte unserer Sache
haben sich abgemüht,
von St. Ignatius, Xaver, Xurruca
und Elcano und des Habeas Corpus
und ich weiss nicht, von wem sonst noch,
alle Empfehlungen zusammen-
und wieder auseinanderzutragen.
So als ob man die Erlaubnis von irgendwem
haben müsste, um frei zu sein.
So als ob wir die Empfehlungen
von irgend jemandem nötig hätten, um ein Volk zu sein.
So als ob alle jene
die Freiheit bringen könnten.
Und nicht um ihretwillen,
sondern gegen sie alle
wollen wir frei sein.
gegen die gesamte Geschichte.
Oh, die unter uns, die
Freiheit und Grösse verwechseln!.
Die, die die Freiheit
im Namen der Grösse
oder der Geschichte
verteidigt haben, oder irgendeiner (doppelt
armselig!) im Namen der Moral
In einem schlechten Gedicht
muss ich unserer Nacht
ein Nein erklären.
Gegen den Morgen,
gegen den Baum von Gernika
und zugunsten des Volkes.
Ich muss der Strasse erklären,
dass unsere Kazikes niemals
unser Volk waren und sein werden.
Unsere Leute sind arm, sie sind traurig.
Unsere Leute haben keinen Platz in einem Gedicht.
Unsere Leute sind gut. Sie sterben
ohne Schuld, leben
ohne Grösse, lieben im geheimen
(respektieren die Tabus),
beten (sie sind traditionsgebunden),
sie wurden betrogen
und vertrauen nicht viel. Unsere Leute
sind reine Vulgarität..
Nur die Impressionisten haben sie gemalt.
Du wirst sie in jedwedem Schrank finden
Irgendeines Ethnologen und beschrieben
in irgendeinem Handbuch.
Dieses war mein einziger Baum von Gernika.
II
Ich will den Frieden nicht,
weil der Frieden nicht die Freiheit ist
(beinahe hatte ich es vergessen,
so alt wie es ist).
Aber das Sterben
erscheint mir entsetzlich prosaisch.
Ich möchte nicht sterben
wie ein Held der Thermopylen.
Und selbstverständlich auch nicht
wie eine alte Uhr,
die man nicht aufgezogen hat.
Auf die eine oder andere Weise erscheint
es mir absolut prosaisch.
Aber meinem Volk
tut man Gewalt an. Mir nicht.
Ich bin ein bevorzugter Priester,
ich muss es dem Leser beichten,
weil ich kein normaler Mensch bin,
wie man sagt, ganz und gar nicht.
Ich bin heilig,
und ich bin nicht sicher, aber
es scheint mir, dass das
etwas Wundersames ist.
Ich habe gelernt, dass ich mich nicht
mit Politik beschmutzen sollte,
und alles das. Eine lange Geschichte.
Und meinem Volk tut man Gewalt an.
Ich habe gelernt, das sechste Gebot zu
predigen
dem, der Brot nötig hat,
Gerechtigkeit dem, der unterdrückt wird,
Hoffnung dem, der unterdrückt,
den Engeln den Menschen und den Menschen
die Hölle.
Ein langes Studium.
Und meinem Volk tut man Gewalt an.
Ich habe gelernt,
der tröstende Engel von Getsemani zu sein.
Aber in Getsemani habe ich niemanden getroffen,
alle auf dem Ölberg.
Man tut ihm Gewalt an.
Ich habe gelernt, den Frieden zu predigen,
allen auf dem Ölberg
tut man Gewalt an,
das war der Baum von Gernika.
Und wer wird unser Volk retten?
Die Alten sind alt,
die Jungen zu jung.
Die Intellektuellen ziehen die Linke
der Freiheit vor.
Sie rufen die Arbeiter nicht zum Schulunterricht
zusammen, sondern zum Klassenkampf.
Die Künstler sagen, dass es ihre Aufgabe ist,
das Schöne zu schaffen.
Aber die Freiheit ist nicht schön,
sie kann nicht in der Gewerkschaft sein,
noch ist sie links.
Sie ist in der Zukunft.
Bei unserer Aufteilung der Aufgaben ist niemand
übrig geblieben
für die Freiheit.
Von daher Aitor, Amaia, tarei
und tandaradei
und der Baum von Gernika
und die Entfremdungen aller Mythen.
Aber wer wird unser Volk befreien?
wenn es nicht das Volk selbst tut! Und alle
sind wir das Volk.
Alle sind wir das Volk.
Wenn alle Mythen einmal zerschlissen sind,
bleibt uns
Magdalena Larralde
(ein Bertso ist unsere ganze Geschichte)
nur.
Man tut ihr Gewalt an,
wer wird ihr die Freiheit bescheren?
Währenddessen wird das, was ich nicht
machte, nicht getan werden
für das Volk. Schliesslich und endlich,
für mich (und für dich, meine Liebe).
Es bleibt ohne die Sonne, die niemand säte,
ohne den Horizont, den niemand hochgezogen hat,
ohne den Nachmittag, den niemand trösten wollte.
Mit allen den Stränden ohne Meer,
mit den Sternen ohne Himmel,
mit dieser müden, schwachen, niedergeschlagenen
Hoffnung,
die kein Ende hat.
Ohne frei sein zu können
Und mit einem blinden, niedergeschlagenen, verdorrten
Fehlen von Mut zu resignieren.
noch sich damit abfindet.
Nur damit,
trotz all der Geschichten ohne die tausend Geschichten,
die niemand glauben kann.
III
Wir wollen frei sein.
Wir, dieses Fleisch, diese Hoffnung
wollen frei sei.
Umsonst wandeln unsere Philosophen herum
eingehüllt in Geheimnisse, in den Gärten der Ideologien,
auf der Suche nach einem Abrakadabra
und mit dem Willen, diese einfache Einfachheit
zu sublimieren.
Dieses Fleisch ist es, was frei sein will,
nicht eine Philosophie, nicht ein Klassenbegriff,
nicht eine Theologie. So als ob Pinie
durch den Pinienwald definiert würde,
der Regen durch die Regenschirme
oder die Sonne durch eine Braungebrannte.
Oder als ob am Kreuz
das Evangelium gestorben wäre.
«Ich bin die Hoffnung» ist das,
was am Kreuz starb.
Der Mensch ist keine Idee.
Die Menschen sind kein Strauss von Rechten.
Die Rechte sind nicht ein Argument
oder zwei Erklärungen.
Es sind die Menschen.
Warum es nicht gestehen:
wir sind elend ungeeint,
wie ein Wolfsrudel auf dem Berg.
Wir, Ameisen unter dem Himmel,
glauben, Argonauten zu sein.
Wir denken, dass jeder eine Konstellation ist
und dass die Freiheit, als ob sie eine Zigarette
wäre,
mit einem Streichholz angezündet würde.
So spricht der Rabiner Rajanam
im Talmud von Jerusalem:
Israel ging nicht in die Verbannung,
bevor es in vierundzwanzig verschiedene
Sekten zerbrach.
Verdienen wir nicht zwei oder sogar drei
Verbannungen.
Hat denn nicht Prometeus das Feuer
stehlen müssen?
Nicht verdienen. Nicht mit Philosophien,
noch mit der Geschichte, noch mit Bitten verdienen.
Vor wem oder womit?
Mit diesem Schritt sind wir fähig, die Irren
von Chaillot irre zu machen.
Dieses Fleisch ist nicht die Geschichte.
Dieser Mensch ist nicht Txurruca,
er würde sich auf
einem Platz in London langweilen,
wenn er Zeugnis von der Ehre Spaniens
ablegen würde.
Ich möchte frei sein,
kein Monument.
Es ist nicht Elkano: Welt genug
hat es mit seinen Bergen.
Zumalakarregi? Am Ende starb er
auch wie ein Dummkopf.
Jetzt halten wir ihn in der Kirche von Cegama
gefangen,
damit er uns nicht auferstehe,
damit man uns nicht sage, dass eine Kugel
die Freiheit ermordet hat.
Dieser Mensch will nicht sterben,
dieses Fleisch ist nicht der Baum von Gernika.
Es ist nicht eine Rasse, nicht Sozialist,
es ist nicht heilig, es ist nichts,
es ist Fleisch, das stirbt
und nicht sterben will.
Und es will auch nicht tot leben.
Es will frei sein.
Ja, früher glaubte einer alles:
an den Baum von Gernika
(und er hielt ihn sogar für heilig,
obwohl die Sache mit dem Glauben
niemals seine Spezialität war),
an den Anführer von Iraineta, an die Baskenmütze
von Abendo, an die Romantik von Campión,
an die Arbeiterklasse und den Humanismus
und an den Unamunismus
(und an seine Brüskierungen
gegenüber uns, den Basken)
(aber schon Iparragirre wird
uns nicht wieder auf den Arm nehmen)
und an die Lektionen aller Philosophien
und an alle Blumentöpfe der Ethik
und an Europa undsoweiter.
Ja, er glaubte auch an das Undsoweiter,
um an etwas zu glauben.
Aber der Mensch war immer anders.
Jungens, um zu glauben, hat dieses Volk
geglaubt
an den Storch, der die Kinder brachte,
und an die drei Könige und auch an den von
Estella,
der unsere Fueros in einem Abendessen verschlang,
mit einer unendlichen Hoffnung hat dieses Volk
immer an irgendeine Sache geglaubt,
und der Mensch ist immer
etwas Unterschiedliches geblieben.
Einer legte sich am Strand hin
auf den Rücken
und schloss die Augen ,
um den Himmel herunterkommen zu lassen.
Aber neben ihm
war nicht mehr als nur ein armes Volk,
ein trauriges Volk,
so traurig wie ein grosses zahmes, krankes Tier,
das immer gutmütig mit den Kindern war.
Ein Volk, das Cent für Cent denkt
und das mit Mühe in seinem Herzen
die Abenddämmerung eines Freiseinwollens trägt.
Aber die Freiheit verdient man nicht,
man muss sie sich erwerben,
nicht vor der Geschichte, sondern
vor dem Menschen
und der Zukunft
Und unser Volk kann sie sich nicht erwerben.
Und es wird sie auch nicht erwerben können,
wenn unsere Philosophen nicht lernen,
dass es nicht die Uhr ist, die den Tag macht.
Wenn die Theologen nicht lernen,
dass der Mensch nicht ein Sitz in der Kirche ist
oder ein Serafin oder das Schaf einer Parabel.
Oder wenn sie denken, dass der Weg zum
Himmel gotisch ist,
weil das Evangelium sagt, dass er steil ist.
Wenn unsere Radikalen Radikalinskis sind.
(Die Wolke ist die ganze Radikalität des
Regens,
nicht der Donner).
Oder wenn wir glauben, dass unsere Täler
Arkadien sind,
oder wenn unsere Realisten nicht zeitig
entdecken,
dass der Prinz mehr Realist war als
Machiavelli
und Judas mehr als Jesuschristus
und dass Marx die Realität ist und nicht
seine Bücher
und Iparragirre und nicht seine Gitarre.
Wenn unser Volk nicht versteht,
dass der Baum von Gernika eine gewöhnliche
Eiche war
(oder sind vielleicht Eichen das, was wir
benötigen?)
und das baskische Volk wie jedes Volk.
Und wenn unsere Arbeiter nicht verstehen,
dass sie Menschen sind und weder eine heilige
noch eine verdammte Kaste,
und wenn die baskischen Bauern nicht
erfahren,
dass Vergil vor sehr langer Zeit starb
(oder besser für die Bauern Verantwortlichen,
denn was für eine Schuld haben jene,
wenn sie nicht einmal wissen, dass er
geboren wurde)
Und wenn unsere Dichter und Schriftsteller
nicht begreifen,
dass die Sprache nicht die Flöte des Orpheus
ist.
Und wenn die Navarrer nicht erfahren,
dass es zwei Navarras gibt,
wenn es jetzt nicht schon drei oder vier gibt
und und und
(natürlich mochte ich etcetera sagen)
wenn wir nicht alle zusammenkommen,
Alt und Jung,
in demselben vielfarbigen Regenbogen.
Dann, ja, wird die alte Sonne
neues Licht geben.
Die Astronomen werden es nicht bemerken,
auch nicht die Sonne selbst,
wir aber.
Und das genügt uns.
Nachdem das alles gesagt wurde,
wird es nicht an einem fehlen, der vorwirft,
dass wir das Vaterland nicht lieben. Als ob
man die Liebe zum Vaterland
(ich schreibe um zwei Uhr morgens)
in der Tasche tragen würde.
© Joxe Azurmendi